Richtige Haltung – gerade Haltung – ideale Haltung

Gibt es DIE richtige Haltung?
– frage ich provozierend. Halte ich mich gerade, fragen sich viele – manchmal mehrmals am Tag. Aber was ist gerade an unserem Körper?
Wenn wir in den Kategorien von „richtig und falsch“ denken, haben wir Bilder von „gerade sitzenden oder stehenden Menschen in Vorder-, Seit- und vielleicht noch Rückansicht vor Augen. Diese abgebildeten Menschen bewegen sich in unseren Gedanken meist nicht. Wir haben sie bewegungslos, statisch in unserer inneren Vorstellung und inzwischen auch im Unterbewusstsein. Dort sind sie in Form von Glaubenssätzen, wie „Ich muss immer gerade sein.“ und generieren unbewusste Bewegungs-, Haltungs- und Handlungsgewohnheiten.
Haben Sie sich schon mal vorgestellt, wie Sie den ganzen Tag und die Nacht in einer solchen Haltung bewältigen könnten? Wenn Sie sich nach unten beugen, um Ihre Schuhe anzuziehen … ach ja richtig, dafür gibt es auch ein Bild: gerader Rücken, gebeugte Knie, also auf keinen Fall den Rücken „krumm“ machen.
Sie mühen sich nun vielleicht jeden Tag „gerade oder richtig“ zu sein, aber es will nicht so recht klappen. Da sind Sie nicht der oder die Einzige.

„Weder ist die menschliche Haltung einfach, noch ist sie leicht zu erzielen. Sie setzt langes und anspruchsvolles Lernen voraus. Der Lernprozess, den jeder durchmachen muss…“ schreibt Moshe Feldenkrais in „Die Entdeckung des Selbstverständlichen“ (Frankfurt am Main, 1985, S. 87)

Das ist der Haken: unsere statische Denkweise. Das Wort Haltung suggeriert uns diese auch. In dem Wort steckt „halt“ darin.
Wenn Sie die Haltung als einen Halt in einer Bewegung sehen, ist Haltung eher eine Momentaufnahme, so etwas wie ein Nullpunkt im Koordinatensystem unseres Bewegungsrepertoires. Und schon denken wir dynamisch, beweglich, mobil.
Und das ist die Lösung: Wenn Sie beweglicher werden, verändert sich auch Ihre Haltung.
Und das Ziel: Die Haltung soll in jeder Lebenslage dem anatomischen, physiologischen Ideal am nächsten sein, ohne dass Sie permanent daran denken müssen und sich korrigieren.

Das Ideal
Stellen Sie sich Ihr Skelett vor, leicht und geschmeidig bewegt durch die Muskulatur, wie es von einer Haltung in die nächste kommt: Vom Sitzen zum Stehen zum Gehen zum Umdrehen zum Laufen zum Sitzen zum Hoch-runter-Schauen zum Aufstehen zum Liegen… (Kommas habe ich bewusst weggelassen) Eine Bewegung geht in die andere über und ist umkehrbar ohne Schwierigkeiten. Jede Bewegung fließt und kann jeder Zeit angehalten werden. Jede Bewegung ist so leicht und mühelos wie möglich. Sollte Kraft in die Bewegung gebracht werden, weil etwas bewegt, getragen, gehoben, geworfen, …, gearbeitet werden soll, ist das auch bis zu einer individuellen Grenze bei anatomisch idealer Haltung möglich.
Diese Vorstellung können Sie realisieren, wenn
•    alle Knochen in der Schwerkraft entsprechend ihrer derzeitigen Bewegungsabsicht geerdet sind und um das Lot durch Ihren Körper effektiv angeordnet. D.h. im Gleichgewicht zwischen vorn /hinten, rechts / links.
•    und wenn es dafür in Ihrem Zentralnervensystem neuronale Verknüpfungen gibt, die Sie zuvor erlernt haben – bewusst oder unbewusst.

Wir halten nicht den ganzen Tag (an).
Glaubenssätze über statisch gerade Haltung fördern eher Verspannungen der Muskeln, die unsere Beweglichkeit behindert. Versuchen Sie es: Setzen Sie sich „gerade“ hin oder stellen Sie sich „richtig“ hin. Wie beweglich fühlen Sie sich jetzt? Wenn Sie den Unterschied nicht wahrnehmen können, kann das daran liegen, dass Sie schon dem anatomischen Ideal angenähert sind oder sich nicht ausreichend tiefensensibel wahrnehmen.

Richtig und falsch
Die ideale Anatomie des Menschen lässt es zu, dass wir uns „krumm“ machen.
Einem Menschen können wir Traurigkeit, Kummer, Sorgen ansehen – auch an der Körperhaltung. Wir schützen uns, unsere Körpervorderseite unser Inneres, wenn wir die Wirbelsäule beugen.
Auch gibt es Reflextätigkeit, die das Beugen der Wirbelsäule, des Körpers zur Folge hat. Der Schutzreflex beugt den Körper innerhalb von tausendstel Sekunden. Dadurch können wir z.B. gut fallen, ohne uns schwer zu verletzen.
Wenn ich hocke ist es also sinnvoll die Wirbelsäule leicht zu beugen, besonders in der Lendenwirbelsäule. Das ist, was viele in unserem Kulturkreis nicht mehr können – die Hocke als Haltung und als Bewegung aus und in die Hocke gehen.
Das sollen genug Beispiele sein, wie relativ falsch und richtig ist. Die Wirbelsäule krumm machen, also beugen, kann richtig sein. Alles zu seiner Zeit.

Haltung und Denken
„Haltung“ ist ein doppeldeutiges Wort. Wir können auch von der „inneren Haltung“ sprechen und meinen damit wie ein Mensch denkt, sich zu verschiedenen Sachverhalten und Fragen in verschiedenen Zusammenhängen verhält.
Wenn wir unser Denken also von Zwängen befreien ist das schon der erste Schritt zu einer idealen Haltung:
•    Weg von der Kategorie „richtig oder falsch“ zum derzeitigen Optimum unserer Haltung, denn das Ideal erreicht kaum ein Mensch.
•    Weg von der permanent statischen zu einer mehr dynamischen Denkweise unsere innere und äußere Haltung betreffent.

Optimale Haltung
Die optimale Haltung ist also die Konfiguration aller Körperteile im Feld der Schwerkraft mit dem  geringsten energetischen Aufwand der Muskulatur entsprechend den äußeren und inneren Gegebenheiten des jeweiligen Menschen. Und die optimale Haltung ist angenähert an das Ideal und in den einzelnen Lebenssituationen verschieden. D.h. je beweglicher wir sind, umso besser ist unsere Haltung. Ich behaupte: Es gibt nicht eine richtige Haltung, sondern immer optimale Möglichkeiten den Bedingungen angepasst.

Die Feldenkrais-Methode ist eine intelligente und praktische Möglichkeit die eigene  Haltung zu analysieren und zu verändern.